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Elke Lutz, Vorsitzende des Kinderschutzbundes, kritisiert: Der wirtschaftliche Aufschwung kommt bei armen Familien oft nicht an.

Elmshorn.  Das Recht des Kindes auf ein Aufwachsen in sozialer Sicherheit in Deutschland sei nicht ausreichend gewährleistet. Das hat die National Coalition zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland kürzlich festgestellt. Trotz Wirtschaftswachstum und sinkender Arbeitslosigkeit nehme Kinderarmut zu. In Elmshorn, der im Kreis Pinneberg von Armut am stärksten betroffenen Region – ist Kinderarmut zwar nicht angestiegen, aber auch kaum zurückgegangen. „Der wirtschaftliche Aufschwung kommt bei den Familien mit Kindern nicht an“, kritisiert Elke Lutz, Vorsitzende des Kinderschutzbundes. Sie führt Statistik.

Demnach lebten am 31. Dezember 2018 in Elmshorn 9066 Kinder und Jugendliche (bis zum 18. Geburtstag). Insgesamt 109 Kinder und Jugendliche erhielten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (24 weniger als 2017), 18 Kinder und Jugendliche Hilfe zum Lebensunterhalt (vier weniger als 2017).

Die Kinderarmut im Kreis Pinneberg liegt bei 14,5 Prozent (bis 15 Jahre) und die Jugendarmut bei 9,5 Prozent (bis 18 Jahre), so Robert Schwerin, Leiter der Stabsstelle Sozialplanung und Steuerung in der Kreisverwaltung, auf einer Fachtagung zum Thema Armut und soziale Ungleichheit anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Arbeiterwohlfahrt. Doch die Verteilung ist in den 49 Kommunen sehr ungleichmäßig und schwankt zum Beispiel im Bereich der Bedarfsgemeinschaften („Hartz IV“) zwischen 0,2 und 13,1 Prozent. Elmshorn führt die Armutsstatistik an.

Um die unterschiedliche Verteilung von Armut im Kreisgebiet darzustellen, hat die Sozialplanung des Kreises Pinneberg die Sozialformel entwickelt. Die Daten beziehen sich nicht nur auf Kinderarmut allein. Als einziger Kreis im Land führt Pinneberg alle Daten der Sozial-, Jugend- und Gesundheitsämter zusammen und wertet sie anonymisiert, aber regionalisierbar aus. Dadurch kann der Kreis seine Sozialausgaben genauer am Bedarf orientieren.

2018 haben insgesamt 2366 Kinder und Jugendliche in Elmshorn (86 weniger als 2017) zum Lebensunterhalt öffentliche Leistungen benötigt. „Das ist zwar erstmals seit 2011 ein kleiner Rückgang von 1,79 Prozent. Aber noch immer gut ein Viertel, nämlich 25,4 Prozent, aller Kinder benötigen öffentliche Leistungen zu ihrem Lebensunterhalt“, sagt die ehemalige Jugendrichterin Lutz. Tatsächlich lebten noch erheblich mehr Kinder in armen Familien. „Viele beziehen Wohngeld. Außerdem sind durch Erhöhung des Kindergeldes, des Kindergeldzuschlages und des Kinderwohngeldes Familien aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II herausgefallen. Auch Familien, bei denen die Eltern sich in Maßnahmen befinden, werden nicht erfasst.“

Es gebe 139 verschiedene Leistungen zur Stärkung der Familien. Bei den von Armut betroffenen Familien komme von der Vielzahl staatlicher Fördermaßnahmen aber nicht genügend an, so Lutz. Zu bürokratisch und stigmatisierend sei die Familienförderung. „Nur 35 Prozent der Berechtigten nehmen den Kindergeldzuschlag in Anspruch, den Teilhabegutschein haben nur 15 Prozent der Berechtigten beantragt“, sagt die engagierte Elmshornerin. Dem Armutskreislauf zu entkommen sei schwierig. Kinderarmut sei gleichzeitig Bildungsarmut. „Die Lehrmittelfreiheit ist eine theoretische“, sagt Elke Lutz. Schulbücher und Gegenstände, die nur im Unterricht eingesetzt werden, werden Schülern in Schleswig-Holstein leihweise und kostenlos zur Verfügung gestellt. Dazu gehören jedoch keine Bücher und Druckschriften, die von den Schülern persönlich verwendet werden, zum Beispiel Atlanten, Nachschlagewerke und Lektüren. Eine Beteiligung an Kopierkosten kann von der Schule eingefordert werden. Schnell kommen da mehrere Hundert Euro für Schulmaterial zusammen. Nachteile in der Bildung führen später oft zunächst in die Arbeitslosigkeit und dann in die Altersarmut.

„Wir arbeiten schon seit 2006 gegen die negativen Auswirkungen von Kinderarmut. Unser Motto ist, kein Kind gehört in Harz IV!“, sagt Elke Lutz. Gut sei, dass das Thema endlich in der öffentlichen Diskussion angekommen sei. Der Kinderschutzbund fordert von der Bundesregierung eine eigenständige, unbürokratische Kindergrundsicherung. „Nur mit einer neuen Leistung, die tatsächlich dem kindlichen Bedarf entspricht und auch bei allen Kindern direkt ankommt, können wir Kinderarmut nachhaltig bekämpfen.“

Dazu habe sich 2017 eine länderübergreifende Arbeitsgruppe unter niedersächsischer Führung gebildet. Ihr Vorschlag: Vier Leistungen sollten zunächst zur Kindergrundsicherung zusammengefasst werden: die Regelleistung nach SGB II („Hartz IV“), Kindergeld, Kindergeldzuschlag sowie das Bildungs- und Teilhabegesetz. Alle Kinder sollten demnach eine Grundsicherung von 628 Euro erhalten, davon 408 Euro für Sachleistungen. Je nach der Einkommenshöhe der Eltern wird der Betrag „abgeschmolzen“. Zudem sollten Anträge vereinfacht werden, sollte besser über Ansprüche informiert werden.

Der Ortsverein des Kinderschutzbundes ermöglicht benachteiligten Kindern Ferien an der Ostsee, therapeutisches Reiten, bietet kostenlose Nachhilfe und Deutschkurse, ermöglicht Geburtstagspartys und Schwimmunterricht, führt Kinder an gesundes Frühstück heran, bietet einen geschützten Raum im offenen Spielkreis, erfüllt Weihnachtswünsche, kauft gemeinsam zweimal im Jahr je 100 Gutscheine für Kinderschuhe. „Wir freuen uns sehr, dass auch der neue Inhaber des Schuhgeschäftes am Holstenplatz, Schuh Eggers, die Aktion des Kinderschutzbundes unterstützt“, sagt Elke Lutz. Die Nachfrage sei jedes mal riesig, nicht alle Wünsche könnten erfüllt werden.

Zwischen 35 und 50 Kinder kommen regelmäßig zum Spielen und Lernen in die Räume des Kinderschutzbundes Elmshorn an die Jürgenstraße, so Elke Lutz. „Hinzu kommen etwa 20 Mütter, die sich hier regelmäßig aufhalten.“ Die meisten haben einen Migrationshintergrund. „Wir leisten Integrationshilfe.“

Quelle: Hamburger Abendblatt 25.11.19, Anne Dewitz